Glocken

Himmlische Sinfonie: Alte Glocken im Tannheimer Tal

Die Kirchenglocken im Tannheimer Tal läuten seit vielen hundert Jahren: Zur Ehre Gottes, zum Wohl der Menschen und zur Freude der Campanologen.

„Ain Suessen Klanng Gib Ich. Die Vest Der Heiligen Offenbare Ich. Die Wetter Brich Ich. Die Lebendigen Forder Ich. Die Doten Bewain Ich.“ Fast 460 Jahre alt sind diese fünf Sätze, in ehernen Buchstaben geschrieben. Sie zieren die größte der vier Glocken in der Tannheimer St.-Nikolaus-Kirche – und sie erzählt von allem, woran das Läuten der Glocke die Menschen erinnert: „Einen süßen Klang gebe ich. Die Feste der Heiligen offenbare ich. Die Wetter breche ich. Die Lebenden fordere ich. Die Toten beweine ich.“

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Glockengießen ist eine Kunst

Nicht nur diese philosophische Inschrift macht die Glocken von St. Nikolaus zu einem einzigartigen Kulturgut. Es ist das letzte noch vorhandene vollständige Löfflergeläut. Die Löfflers, Vater Gregor sowie die Söhne Helias und Hanns Christoph, waren in Innsbruck zuhause. Sie galten im 16. Jahrhundert als eine der bedeutendsten Glockengießer-Familien in Mitteleuropa. 1561 mit der großen Glocke beginnend und 1580 mit den drei kleineren vollendet, klingt ihr Werk bis heute nach. „Campanologen“, wie Glockenforscher sich nennen, würdigen das Klangbild der himmlischen Sinfonie. Aus dem Tannheimer Kirchturm erklingt sie rund, harmonisch und wohl ausgewogen. Ein wahrlich musikalisches Erlebnis. Ein wichtiger Teil der Glockengießer-Kunst war, die einzelnen Teile eines Geläuts so zu stimmen, dass jede Glocke für sich, genauso wie alle Glocken zusammen einen unverkennbaren Klang ergaben. Noch wichtiger aber war ihre Aufgabe die Menschen daran zu erinnern, Gott die Ehre zu erweisen.

Die Glocken im Tannheimer Tal: Überall zu hören

Im Katholischen rufen sie rechtzeitig vor dem Gottesdienst die Gläubigen zur Kirche. Dann läuten sie wieder, wenn die Messe beginnt und sie erklingen während der heiligen Wandlung am Altar. Schließlich begleiten sie am Ende der Messe die Gläubigen auf dem Heimweg. Auch ans Morgen- und Abendgebet haben sie über die Jahrhunderte hinweg erinnert. Und zur Mittagszeit ermahnen sie, das traditionelle Gebet „Engel des Herrn“ zu verrichten. Die zentrale Rolle des Geläuts von St. Nikolaus kommt nicht von ungefähr: Früher war dies die einzige Kirche und somit die einzigen Glocken im Tannheimer Tal. Ihr Klang musste auch noch die Menschen in Schattwald und Nesselwängle erreichen.

Leben im Rhythmus der Kirchenglocken

Kein Wunder, dass im Lauf der Geschichte das Glockenläuten auch die Ordnung im weltlichen Leben bestimmte. Der Tal-Historiker Alfons Kleiner beschreibt die ebenso einfache wie überzeugende Wirkung des Läutens bei seiner Kirchenführung so: „Morgens aufstehen, mittags eine Pause einlegen, abends ans Schlafen denken. Der Rhythmus der Gebete war mit dem Takt des Alltags gut vereinbar.“ Dieses Läuten im Lauf des Tages übernahm die drittgrößte Glocke im Turm, die „Zwölferin“. Die etwas größere „Elferin“ hingegen heißt so, weil sie die Hausfrauen vormittags daran erinnerte, das Mittagessen zu kochen. Wenn die „Große“ dann schließlich am Samstagnachmittag begann den Sonntag einzuläuten, dann durfte man getrost die Arbeit ruhen lassen. An hohen Feiertagen wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten sowie bei Prozessionen, zum Beispiel am Talfeiertag, dem „Siebezete“, erklingt das „Große Geläut“, also alle vier Glocken zusammen. Doch die Glocken im Tannheimer Tal hatten noch mehr Aufgaben. Welche das sind, verraten wir in der nächsten Folge.

Bilder und Video: Achim Meurer